
Das erste Novemberwochenende verbrachte ich bei einem Fotokurs. Ich wollte endlich verstehen, was das mit der Brennweite und der Blende und der Belichtung auf sich hat. Dummerweise hatte ich Physik nach der zehnten Klasse abgewählt, der Lehrer war doof. Also ab in die Volkshochschule zu "Digitale Fotografie für Anfänger - speziell für Einsteiger ohne Vorkenntnisse". Ich hatte den Dozenten vorher nicht gegoogelt, dummerweise hat er auch am Anfang nicht seinen Namen gesagt. Stattdessen sollte jeder als Einstieg eine Zeitungsseite abfotografieren. So konnte man schonmal schauen, was die Einsteiger ohne Vorkenntnisse für Technik mitbrachten. Von der einfachen Digiknipse bis zur Profispiegelreflexkamera war alles dabei. Und da tauchten auch schon die ersten Problemchen auf. Ausgerechnet die Dame mit der Profispiegelreflexkamera war nicht in der Lage, ihr soeben geschossenes Foto auf der Kamera anzuzeigen. Andere wussten nicht, dass man das angezeigte Bild auch vergrößern kann. Ohje, vielleicht wäre der Aufbaukurs doch der passendere für mich gewesen? Dann teilte der Dozent den Ablaufplan aus und plötzlich wurde es spannend: als Tagesordnungspunkt für den Nachmittag stand da "Aktfotografie". Ich beschloss zu bleiben. Der Kurs diskutierte über das Model. Es sollte tatsächlich eine kommen und für diese sollte jetzt jeder zusätzlich 10 Euro bezahlen. Das stand so nicht im Programm. Schon fragte die Erste: Können wir uns denn nicht einfach selbst fotografieren? Da wurde der Dozent patzig und sprach von künstlerischer Freiheit, seiner Entscheidungshoheit und langjähriger Erfahrung mit Anfängern. Die Fragende verließ den Raum und damit auch den Kurs. Wir anderen zahlten brav in Summe 110 Euro, ohne zu wissen, was uns erwartet. Nach der Mittagspause wollte er sie abholen. Das kann ja nur ein Blondchen sein, dachte ich, wenn die nichtmal alleine Bahn fahren kann. Na toll, und die kriegt jetzt auch noch 10 Euro von mir, dafür dass ich ihre langen, blonden Haare fotografieren darf.
Ich rege mich noch ein bisschen auf, als das vermutliche Blondchen plötzlich im Raum steht: Ganz und gar nicht blond, schwarze lange Haare, in viele kleine Zöpfe geflochten, blaue Strähnchen noch dazu. Im Gesicht glitzern Piercings, in den Nasenflügeln zwei Ringe, im Kinn steckt ein Stachel. Leggins im Tiger-Look, Nietengürtel um die Hüften. Ein zierliches Mädchen, noch keine 20. Deutsch spricht sie kaum. Kaugummikauend sitzt sie auf dem Tisch. Jetzt sind wir dran. 11 Kameras schauen ihr ins Gesicht, sie blickt starr durch uns hindurch. Das hätte keiner von uns ausgehalten. Dann wird sie herumkommandiert, muss in den Garten, an die Mauer, auf die Treppe. Das Bein hoch, den Kopf nach links, Blick nach oben, den Kaugummi raus. So ganz nebenbei erklärt er die Einstellungen an Blende und Verschlusszeit. Es funktioniert. Es sieht gut aus. Auch ohne Akt.
1 Comments:
Jenny, das Bild ist richtig gut gelungen!
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