Autokino
Morgens auf dem Weg ins Büro beobachte ich stets die Insassen im Auto hinter mir, wenn ich an einer roten Ampel stehe. (Im Dunkeln muss man dazu nur auf die Bremse treten, meine Bremslichter erhellen deren Wageninneres, ohne dass die Beobachteten es merken.) Szene 1: Er sitzt am Steuer und telefoniert. Sie daneben, zwei weiße Stöpsel in den Ohren, die Jacke bis dicht ans Kinn geschlossen. Sie ist groß und dürr, hat eine hellblonde Stoppelfrisur, ist passend geschminkt und wirkt wie einer Casting-Show entsprungen: naiv und unerfahren, aber mit Potential. Sie ist in sich gekehrt und erschöpft, aber gefestigt in ihrer Ansicht. Er beendet das Telefonat und starrt aus dem Fenster. Sie regt sich nicht. Wahrscheinlich haben sie sich heute morgen heftig gestritten und dann doch der Hoffnung (oder Bequemlichkeit?) wegen den gemeinsamen Weg mit dem Auto gewählt. Die Ampel wird grün, wir fahren weiter bis zur nächsten. Plötzlich verzieht er das Gesicht, schüttelt mit dem Kopf und fängt an zu weinen. Sie rührt sich nicht, dreht nichtmal den Kopf. Er zündet sich unruhig eine Zigarette an. Sie nimmt bedächtig die Kopfhörer ab - ohne ihn anzuschauen. Er greift nach ihr, sie weicht ihm aus. (Was im Smart nicht so einfach ist, aber eine Andeutung genügt in solchen Fällen schon.) Mist, grün. Ich fahre langsam los und doch zu schnell, die folgende Ampel wird direkt nach mir rot. Sie haben Zeit für sich. Ob sie reden? Ob er sich wieder gefangen hat? Ob sie weich geworden ist? Sie kommen mir wieder näher, direkt vor dem Hauptbahnhof. Er wechselt die Spur. Die Spur seines Lebens?
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