23. Dezember 2008

Es weihnachtet

Mehr als Zeitzeugnis denn als aktueller Bericht ist dieser Beitrag gedacht. Vielleicht werden meine Nachkommen in 50 Jahren nachlesen, wie das damals so war, so wie wir heute die Briefe aus den 50ern lesen. Oder vielleicht auch einfach nur gegen das Vergessen:

Weihnachten ist für mich die Zeit der Rituale. Ein Ritual als kommunikative Handlung hat auch in einer atheistischen Familie religiöse Dimensionen und vor allem intergenerationelle Bezüge. Laut Wikipedia vermitteln Rituale Halt und Orientierung, indem sie auf vorgefertigte Handlungsabläufe und altbekannte Symbole zurückgreifen. In Ritualen wird etwas inszeniert und aufgeführt, das sich anders nicht ausdrücken und darstellen lässt. Solange alles wie immer abläuft, ist für mich die weihnachtliche Welt in Ordnung.
Es beginnt am Vorabend, am 23.12. wird der Weihnachtsbaum aufgestellt und geschmückt, dazu gibt es Glühwein oder schwedischen Glögg und die immer gleiche Diskussion, ob die goldenen Schleifchen über die roten Kugeln gehangen werden oder nicht. Als Integration des aktuellen Zeitgeschehens gibt's von mir jedes Jahr eine neue Kugel dazu, mal eine in Elchform, letztes Jahr ein Schifferklavier und diesmal einen Elefanten. Dazu kommen Lichterketten und wenn es kein Kleinkind in der Familie gäbe (seit 15 Jahren nicht der Fall) auch echte Kerzen.
Am 24. vormittags wird der Weihnachtsteller mit Lebkuchen und selbstgebackenen, glasierten Plätzchen belegt, sowie der Obstsalat vorbereitet. Ich erinnere mich auch noch an lebende Karpfen in der Badewanne, neuerdings werden die Hufeisenstückchen schon fertig geschlachtet im städtischen Fischladen gekauft. Zum Mittagessen gibt es heißen Kakao mit Brötchen, belegt mit einem blauen Edelschimmelkäse, in unserer Familie liebevoll Stinko genannt und von keinem Abendessen wegzudenken. Danach geht es in die Badewanne und dann zum Kaffee zu Oma, Tante oder Schwester, es sei denn ein Enkel spielt einen Engel in der Kirche. Danach dürfen die Kleinen Trickfilme schauen, während in der Stube, die schon den ganzen Tag gesperrt ist, die Geschenke unter den Baum gelegt werden und der Karpfen in der Pfanne brät. Punkt 18 Uhr mit dem Schlag der großen Pendeluhr öffnet sich unter dem Leuchten von Sternreißern die Stubentür, der Baum steht zum ersten Mal hell erleuchtet im Raum, im Hintergrund ertönt klassische Musik. Dann folgt der Sturz auf die Geschenke, der nur durch den Ruf an den Tisch unterbrochen wird. Es gibt gebackenen Karpfen, dazu Kartoffelsalat, zum Nachtisch Obstsalat mit Chicorée und Rosinen. Der Rest des Abends gehört den Geschenken, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm und dem Telefon. "Fröhliche Weihnachten" zwitschert Mama allen in die Ohrmuschel. 23 Uhr gibt es in den letzten Jahren ein modernes Krippenspiel zu sehen, mit Glühwein aus der Thermoskanne und Wolldecken auf den Knien in der Kirche.
Am ersten Feiertag werden vormittags Seidenklöße geformt und Papa macht den Gänsebraten. Zum Mittagsmahl kommen alle Kinder und Enkel, danach der obligatorische Winterspaziergang vor Kaffee mit Stollen und gemütlichem Beisammensein. Manchmal üben wir uns zudem in Hausmusik, dann werden die eingestaubten Akkordeons vom Boden geholt und die Künste des autodidaktischen Spiels unter Beweis gestellt.
Der zweite Feiertag dient zur Regenerierung durch einen Ausflug in den Schnee oder in die Sauna. Noch bis Januar bleibt der Baum stehen.

Jedes Jahr wieder bestehe ich auf diese Rituale. Um keinen Preis der Welt würde ich Weihnachten an einem anderen Ort oder auf eine andere Weise verbringen wollen. Zumindest solange ich noch keine eigene Kleinfamilie gegründet habe. Ich bin gespannt, wie sich die Rituale dann entwickeln werden.

Bis dahin wünsche ich allen ein schönes Fest mit hoffentlich angenehmen Ritualen!

Nachtrag 1: Könnte man es auch Tradition nennen? Was ist der Unterschied?
Nachtrag 2: Papa besteht darauf richtigzustellen, dass er den Karpfen selbst ausgenommen und zerstückelt hat.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Es ist egal, wie Du es nennst ... es ist schön !

LG von zwei Weihnachts-flüchtenden-und-Schnee-suchenden ;-))

25. Dezember 2008 um 06:44  
Blogger thairesa said...

ganz liebe grüße und weiterhin viel spass beim zelibrieren der rituale!

p.s.: keine sorge, resi meldet sich nicht nur, wenn es etwas negatives zu berichten gibt. ;)

26. Dezember 2008 um 00:00  

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