Was ich will
Als ich am Montag von Leipzig nach Berlin fuhr, hatte ich drei Mitfahrerinnen. Alle hatten wir am Vormittag Abschlussprüfung gehabt, für alle wird ab dem 1.10. ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Ein Praktikum in Luxemburg, der Beginn der Bewerbungsphase, eine Reise durch Frankreich, ein Vollzeitjob in einem Großkonzern. Von gestern auf heute wird alles anders. Ich kann es nicht richtig fassen, den Lebensabschnitt Studium ad acta zu legen. Die Erinnerungen an die Anfangsjahre häufen sich: Als ich aus der Kleinstadt in die Weltstadt kam und mich ständig verirrte. Als ich mich mit Mathematikstudenten während der nächtlichen Übungsaufgaben ausschließlich von Tiefkühlpizza ernährte. Als ich mein erstes Paar schwarze Socken geschenkt bekam. Als ich im Unichor in der Peterskirche Brahms' Requiem sang. Als ich ein Praktikum beim MDR bekam. Als ich mein Geld noch mit Kellnern und Telefonieren verdiente. Als ich auf Philosophenpartys in den Sonnenaufgang tanzte. Als ich ein Blind Date in der Sauna hatte. Ich habe mal gelesen, dass bei Menschen, die umfassend begabt sind, die Pubertät besonders lange andauert. Ich hatte zwar schon lange keinen Pickel mehr, aber irgendwie gefällt mir die Theorie. (Es wird Zeit, dass ich mit meinen eigenen Kindern im Sandkasten spielen kann, dann muss ich mich nicht mehr rechtfertigen. Kindergärtnerin zu werden verbietet mir meine Mama nämlich. Und über die Phase Ich-tue-das-weil-Mama-es-verboten-hat bin ich nun doch schon hinweg.) Ich denke immernoch darüber nach, was ich einmal werden will, wenn ich groß bin. Soeben habe ich meinen ersten Artikel für die Zeitschrift "Kommunikation & Seminar" verfasst. Ja, irgendwie sowas. Nebenher läuft das eigentliche Leben, was sich so entwickelt hat. Aber erst ab nächster Woche. Noch habe ich ein paar Tage für mich und meine Gedanken, die sich wie Feynman-Diagramme in alle Richtungen entwickeln. Die Vielfalt der Möglichkeiten beeindruckt mich, ich habe Ehrfurcht vor der Komplexität des Lebens (so kitschig das auch klingt) und den tiefen Ebenen der menschlichen Seele. Ich habe zu ordnen und zu wichten. Ich will nicht noch spießiger werden, als ich schon bin, und doch ist das exzessive Party- und Lotterleben auch schon Geschichte. Ich will irgendwo dazwischen sein, mit genug Raum für neue Ideen und Gedanken, für meine Familie und Freunde, für Kunst und Kultur, für mich und mein Leben. Ich will fremde Länder entdecken und ein Zuhause aufbauen. Ich will einen Platz im Grünen mitten in der Stadt, einen Mann, der sich verwirklicht und um die Kinder kümmert, einen herausfordernden Job mit Sicherheit und Idealen. Ich möchte im Sonnenschein am Meer sitzen und immer Ruhe im Sturm bewahren können. Und endlich Tango tanzen und Klavier spielen lernen. Und dabei einfach glücklich sein.
1 Comments:
Du schaffst das, Jenny.....sicher nicht alles auf einmal....
aber so nach und nach wirst Du Deine Träume verwirklichen ...oder Du wirst neue träumen (müssen ;-))
LG aus DD
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