6. Dezember 2007

Vor Kasachstan

Heute ist mein freier Tag, also mache ich einen Ausflug. Oder vielmehr eine Ausflucht vor dem Unikram. Um dennoch nicht von einem schlechten Gewissen geplagt zu werden, verknüpfe ich den Ausflug mit der Erledigung einer wichtigen Angelegenheit. Ein Visumantrag, der es Kai ermöglichen wird, Marie in Kasachstan zu besuchen, kann an vier mal drei Stunden die Woche beim Konsulat abgegeben werden. Nur 15 Tramminuten später stehe ich in der Nordendstraße in Pankow. Schon die Anfahrt versetzt mich ca. 20 Jahre zurück, Polizisten in weißen, knöchellangen Mänteln regeln den Verkehr mit Hilfe von Trillerpfeifen und Stöcken. Sechs Polizisten auf einer ganz normalen Kreuzung. Früher war das immer nur einer, oder?
In Erinnerung an Maries Bericht von ihrem Botschaftsbesuch erspähe ich die Ziegen am Wegesrand, direkt gegenüber der Botschaftervilla. Im Garten entdecke ich einen Tennisplatz, eine kleine Bühne und einen Swimmingpool. Vielleicht hätte ich mich doch für die Ausbildung beim Auswärtigen Amt bewerben sollen?
Das schwere Eisentor öffnet sich ohne Klingel und ohne Pförtnerfrau mit Kopftuch.
In einem kleinen Raum, eine Glasscheibe trennt den Mitarbeiterbereich von dem der Wartenden, hängen die Wände voll Zettel mit russischer Schrift. Eine unverkennbar russische oder kasachische Dame wartet geduldig, niemand sonst ist da. Eine Klingel gibt es nicht. Ich überlege, wie die Wartezeit verkürzt werden könnte. Ein bisschen hinter den anderen Türen schnüffeln oder laut rufen, ob jemand kommt? Nein, ich besinne mich, das ist hier bestimmt nicht angebracht. Die Kamera, die hinter der Glasscheibe direkt auf uns gerichtet ist, wird sicher jemand überwachen.
Dann kommt noch ein Mann herein, er grüßt mit Zdrastwujtje. Ein weiteres Paar in Lederjacken und Plastetüte kommt dazu. Alle haben einen Stapel Reisepässe dabei, umwickelt von doppelt gefalteten Anträgen und rotem Gummi.
An der Tür hängt ein Filmplakat: Ulzhan von Volker Schlöndorff. Ein Film über eine Liebe in Kasachstan. Der Oscar-Regisseur Schlöndorff war übrigens vorgestern der Pate auf dem Berliner Filmfestival, für das meine Mitbewohnerin gerade arbeitet. Sie schüttelte ihm die Hand. Die Hauptdarstellerin, eine Kasachin, durfte sich wie im Zoo bestaunen lassen.

Endlich kommt jemand, ein junges Mädchen, mit rundem Kopf und sehr asiatischen Gesichtszügen. Das schwarze glatte Haar wird von einem roten Haarband zurückgehalten. Die erste Frau ist an der Reihe, ich bleibe sitzen und warte bis sie fertig ist. Das war ein Fehler. Alle anderen drängen sich sofort dicht hinter sie. Das habe ich doch gestern erst in Maries Wie-überlebe-ich-in-Kasachstan-Tipps gelesen. Als alle fertig sind und auch das letzte Paar nach lautstarkem russischen Wortwechsel seine Unterlagen wieder in die Pennytüte gesteckt hat, gehe ich hin. Ich spreche ganz langsam deutsch, sie versteht es natürlich problemlos. Ich gebe alles ab, sie gibt die Klarsichtfolien wieder zurück und prüft jeden einzelnen Zettel. Beim Kontoauszug als Einzahlungsbeleg für die Visumgebühr lächelt sie, so etwas hätte sie noch nie gesehen. Vorbildlich!
Also, Marie, wappne dich, wenn das so einfach ist, dann kommen Laura und ich dich doch noch besuchen. Überlegen schon, ob wir den Direktzug von Berlin nach Astana nehmen, 99 Stunden Fahrt von Samstag bis Mittwoch, oder doch die Abenteuervariante schrittweise über Moskau und die Ukraine?

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Ich danke Dir, meine Jenny! Nun, Kasachstan ist einfach, Rußland wird schwer. Aber um das Transitvisum kommt man nicht herum. Nehmt die kürzeste Strecke, nehmt ein Abteil, das ist abenteuerlich genug. Und das beste: Kostet fast genau so viel wie ein Flug. Aber vielleicht geht es Euch wie meinen kasachstanischen Freundinnen, die nach Deutschland wollen: Junge, gutaussehende, unverheiratete Frauen bekommen ja schon mal gar kein Visum. Ganz im Ernst.

6. Dezember 2007 um 14:14  

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