10. November 2007

Einst in Nürnberg ...

... fand sich eine Gruppe von Studenten zusammen, die dank eines bekannten Großkonzerns in die Theorie des Projektmanagements schnuppern durfte. Dabei kommen 16 junge Menschen zusammen, von denen 80% sowohl männlich als auch aus Bayern stammen und noch dazu Ingenieure werden wollen. Die Stimmung ist dennoch stets gut in diesen Gruppen, die Räumlichkeiten von bereits absolvierten Seminaren bekannt. Untergebracht sind wir in einem großen Haus im Nürnberger Wald direkt neben der Landebahn des Flughafens. Das Essen wird serviert, die Betten gemacht, das Bad geputzt. Alle Zeit kann dem Seminarthema gewidmet werden. So lernen wir also von den verschiedenen Phasen eines Projektes, trinken abends zusammen Bier und quatschen bis tief in die Nacht. Abwechslungsreiche Praxisteile und Spielchen halten die Aufmerksamkeit auf einem hohen Level. Der Trainer ist zufrieden. Alles in allem eine gelungene Sache, nicht zu intensiv und doch informativ. Eine nette Zeit.
Gestern Abend gab es Weißwürste und Brez'n (bitte fränkisch aussprechen) und ich habe es tatsächlich gewagt, in die Runde zu fragen, wie man die Dinger denn esse. Ob mit oder ohne Schale? Adi, ursprünglich Inder mit fränkisch-indischem Akzent, schaut mich erstaunt an: "Was, du weißt nicht wie man Weischwürscht ist?" "Ich komme nicht aus Bayern und bei uns oben gibt es sowas nicht", rechtfertige ich mich. " Na und, ich komme nicht aus Deutschland und weiß es trotzdem!" Lachen. Ich werde über den passenden süßen Senf und die unpassende Uhrzeit aufgeklärt, in München darf man die spätestens halb zwölf Uhr morgens auf den Tisch bringen. Dazu gibt es ein Weizen, dann die Absprache, welchen Laden wir gleich in Nürnberg unsicher machen. Die meisten gehen schonmal in die Stadt, ich will lieber auf eine Privatparty. Also bleiben wir einfach im Auto eines einheimischen Teilnehmers sitzen. Er nimmt uns mit in seine WG, eine 200qm-Wohnung, 6 Mitbewohner und eine Küche mit Sofa. Wir trinken schon wieder Rotwein und diskutieren einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung über das Veränderungsvermögen eines Menschen aus neurobiologischer Sicht, gerade veröffentlicht von Gerhard Roth und wunderbar passend zu meinem gewählten Prüfungsthema, über das ich mich im März von meinem Professor ausfragen lassen möchte. Willensfreiheit aus Sicht der Hirnforschung versus die Meinungen der Philosophen. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit den Büchern der Herren Singer und Roth. Aber zurück nach Nürnberg, die Party ist nach einigen Telefonaten gefunden, mittlerweile ist es zehn Uhr, nix wie hin. Im Gegensatz zu einer Leipziger WG-Party ist die Anzahl der Gäste überschaubar, es gibt sogar einen Sitzplatz für jeden. Gastgeber ist ein frisch eingezogenes Pärchen, er ein blonder Mitarbeiter des Großkonzerns, sie ein warmherziges Mädchen aus Kolumbien. Es gibt Bier aus Tischsäulen, spanischen Wein, Fenchel mit Zitronensaft und Kokoskuchen aus Kroatien. Die rechte Hälfte des Raumes ist die spanisch sprechende, Frauen und Männer aus Kolumbien mit ihren deutschen Partnern, die mindestens ein Jahr lang in Argentinien unterrichtet haben oder ähnliches. Bei der linken Hälfte dominiert deutsch als Verständigungssprache, bis unser Einheimischer bemerkt, dass er sein Gegenüber bereits aus seinem Praxissemester in Paris kennt und dieser wiederum den Bruder des Gastgebers. Schön. Trotz des südamerikanischen Einschlags und der entsprechenden Musik wurde kaum getanzt. Ein Grund wieder zu den anderen Seminarteilnehmern zurückzukehren. Diese haben jeder 4 Cocktails in einer Orient-Bar hinter sich und wechseln gerade die Location. Aus Kostengründen steht das Downtown auf dem Plan. Auf dem eisigen Weg dahin posieren wir auf Brückengeländern fürs Gruppenfoto. Wir denken an wärmere Zeiten, ich an Singapur. Da plötzlich Kathrin: "Was, du warst auch in Singapur? Wann denn? Hast du da eine Anne kennen gelernt?" Ich: "Klar, Anne, meine Mitbewohnerin." " Echt? Das ist meine Freundin und ich war auch da vor einem Jahr!" "Ach, dann bist du diejenige, von der Anne schon alles wußte?" "Ja, ich hab auch bei dem Mr. Goh gewohnt." Anne, zufällig auch wohnhaft in Nürnberg, haben wir natürlich sofort angerufen, aber leider nicht erreicht.
Das Downtown ist ein kleines Loch im Felsen mit Tigerfell an den Wänden, Rock'n'Roll-Musik und Garantie für körperliche Nähe. Es ist so eng, dass man auch nach dem 6. Cocktail nicht umfallen kann. Alternative: Schmelztiegel. Ich darf auch ohne Ausweis rein und will am liebsten sofort wieder raus. Schwitzende Menschen, klebrige Tische und dazu dröhnende Karnevalsmusik mit unglaublich niveauvollem Text von der Art "Da hat das rote Pferd sich plötzlich umgekehrt und mit seinem Schwanz die Fliege weggekehrt ..." Äh ja, ist das jetzt original bayrisch? Egal, Bier und einfach mittanzen, was anderes bleibt einem nicht übrig. Nach Hause gehen darf nicht sein, wir müssen doch Netzwerken! Gegen drei ist's dann doch nicht mehr auszuhalten, drei Taxen bringen uns in die Betten.
Heute morgen um acht geht's weiter, die letzten Phasen des Projektmanagements. In der Kaffeepause tauschen wir die peinlichen Fotos von gestern Abend aus. Ich gebe Tobys Speicherkarte weiter und treffe dabei direkt ein hohes Glas voller Frankensprudel. Die Karte schwimmt langsam nach unten, Tobys Augen an die Decke. Ich stürze hinaus, gieße das Wasser ab, lasse die Karte dabei fast im Ausguss des Waschbeckens verschwinden und puste sie wieder trocken. Folglich werden alle Gläser und technischen Geräte aus meiner Nähe entfernt. Mitarbeiten darf ich trotzdem noch, nach Aufzeichnung einer Meilensteinstrukturanalyse kracht der Flip-Chart-Ständer in sich zusammen, ich hatte ihn gerade losgelassen. Unter sich begräbt er die Festplatte und die Digicam des Dozenten. Ich denke ernsthaft darüber nach, ob ich in solchen Fällen versichert bin. Zum Glück ist alles heil geblieben, hoffentlich gibt es keine Spätfolgen. Mein Kater ist es nicht, abergläubisch bin ich auch nicht. Dennoch werde ich mit dem Auto bis zum Bahnhof gefahren und muss versprechen, dass ich eine Rundmail schreibe, wenn ich die Heimreise überstanden habe. Man müsse sich ja ernsthaft um mich Sorgen machen!
Obwohl es mittlerweile dicke weiße Flocken schneit, fährt der Zug nach Plan und bis auf die Hiobsbotschaft, dass der Professor, der in diesem Semester meine Magisterarbeit betreuen soll, soeben wegen unklaren Anschuldigungen vom Lehrdienst suspendiert wurde, ist alles ruhig.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Das mit dem Veränderungsvermögen mußt du mir mal näher erläutern, ja?

10. November 2007 um 22:15  
Anonymous Anonym said...

unklare gruende? ich wette eine weihnachtsmarktbratwurst auf stasi. da weißte ja hoffentlich, wie man die ißt. drück dich!

12. November 2007 um 13:46  

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