12. Juni 2007

Ein ganz normaler Montag

Da ich ueber ganz normale Montage nichts mehr zu schreiben weiss, lasse ich Marie (leicht gekuerzt) zu Wort kommen:
"Wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, es gebe in Singapur nur kleine Portionen, die den Vorteil hätten, daß man zu jeder Tageszeit ununterbrochen eine große Vielzahl an Speisen probieren könne, der lügt. Alles, was ich bisher gegessen habe, mußte ich nach der Hälfte aufgeben. Vielleicht besitze ich aber nach drei Tagen noch keine repräsentative Aussagekraft. Oder keinen repräsentativen Stoffwechsel. Zunächst überfordern mich die Foodcourts. Bei zuviel Auswahl, fehlender Kenntnis der Zutateneinzelheiten und mangelnder Entscheidungsfreude (klimatisch bedingt, Jenny spricht auch schon ganz langsam), fällt es sehr schwer, ein Mittagessen zu finden, das dann auch noch den Anforderungen des Kurzurlaubers in Fragen der Landestypischkeit, des Schärfegrades und der Praktibilität des Zusichnehmens genügen muß. Heute Mittag entschied ich mich für eine Sea-Food-Nudelsuppe, auf der drei große Garnelen schwammen. Während ich aß, dachte ich darüber nach, wie die Menschen, die mir diese Garnelen zubereitet haben, es sich gedacht haben, daß ich sie esse. Ohne einen separaten Teller. Ohne Werkzeug. Ohne Serviette. Zunächst habe ich sie vom Eise, nein, von der heißen Brühe, befreit, die ich abschöpfte und einschlürfte. Auf dem Nudelbett liegend konnten sie abkühlen, insofern man das hier so nennen kann. Mit beiden Fingern Kopf ab, Schwanz ab, Mantel ausgezogen, getötet, gegessen. Ich sah aus wie ein Ferkel. Auf der Toilette hatte ich ein hinreißend authentisches Erlebnis. Eine ältere Dame neben mir beugte sich unter den Hahn und schöpfte Wasser in ihren Mund. In dem Moment, als ich glücklicherweise nicht hinsah, sog sie aus Körpertiefen, von denen ich nicht weiß, wo sie liegen, mit entsprechendem Geräusch eine zähflüssige Substanz in ihre Nase uns stieß sie aus. Jenny sagt, ich könne froh sein, daß ich hier nur in Lightasien sei, in anderen Ländern der Region passiere das auf der Straße und vielleicht sogar vor deinen Füßen. Wie es sich für einen Montag nach einem so dichten Wochenende gehört, konzentrierte ich mich aufs späte Aufstehen, Tiefenreinigung, langsames Zielerreichen in der klimatisierten U-Bahn und einen ausgiebigen Shoppingmallbummel. Aus Gründen der Selbstschutzes laufe ich jeden Tag mit einem festgesetzten Tagesbudget los und lasse meine Kreditkarte zu Hause. Mein Bummel begann 13.30 Uhr, und um 15.30 Uhr war das Budget erschöpft. Converse Schuhe gibt es hier nur bis Größe 11! I said: You know, he is a tall European guy, he is what you can call a real man - aber nichts war zu machen. Ich halte meine Augen offen! Meine Budgeterziehungsmaßnahme wurde hinfällig, als Jenny mich abholte und mit ihrer Singapurer ec-Karte vor meiner Nase rumwedelte ;-) , so daß ich mir die zwei tollen T-Shirts kaufen MUSSTE. Den Höhepunkt des Tages erreichten wir gemeinsam mit Jennys Tanzlehrer im YMCA-Sportstudio. Der Mann ist ein Ereignis! Und in echt und in Farbe noch viel besser, als es Jennys Foto (siehe unbedingt den Gabelblog, schon etwas weiter unten) erahnen läßt. Während seiner uns zum Sexysein und Sexyfühlen und Sexygrooven anfeuernden Anweisungen berührte er seinen - zweifellos sehr trainierten und unheimlich dehnbaren - kleinen Körper immer wieder umnichtzusagen anstößig. Jenny und ich sind ja abgebrühte Europäerinnen, frei von Prüderie, Scham sowieso... aber wie empfinden die vielen indischen oder bekopftuchten muslimischen Frauen in Jennys Tanzkurs die pornographischen Bewegungen und die schlüpfrigen Witze ihres flummiartig-hyperaktiven Kursleiters? Haben wir am Ende ein völlig falsches Frauen- und Sexualitätsbild in Bezug auf diese Religionen? Wir bemühten uns jedenfalls alle um einen - ja, HüftSCHWUNG kann man das nicht nennen, es sind eher Hüftstöße - wie den von Beyoncé. Jenny macht das prima, ich bin grobmotorisch nicht so begabt und bleibe wohl beim Schwimmen. Er will sie sogar in seinen HipHop-Kurs aufnehmen! Sie sei die Beste! Wow, meine Freundin.
Als ich beim Anblick unserer nächsten Station endlich und zum ersten Mal sagte "Man ist das geil" (so ein Wort sage ich sonst nicht, siehe oben), atmete Jenny auf. Darauf hatte sie gewartet. Vor uns lag ein großer menschenleerer Pool auf dem Dach des YMCA-Gebäudes und damit - wenn nicht über, dann neben den Dächern des nächtlichen Singapur. Es war großartig. Und so kamen wir am Ende auch noch zu den bedeutsamen Dingen des Lebens und Denkens, fernab meines Erholungsshoppingtages. Im Wasser schwebend dachten wir über die Möglichkeit der Liebe zwischen zwei Menschen nach, die nicht die selbe Muttersprache haben. Werden sie sich je so nahe kommen, wie wir, die wir alle Feinheiten und Konnotationen verstehen können? Und ist der Singapurer Mensch, den wir erleben, der lange am Tag arbeitende, der konsumierende, der sich zu wenig fortpflanzende, der karriereorientierte, der Regeln unbedingt gehorchende, der sich amüsierende, ist er die Art neuer Mensch im globalisierten 21. Jahrhundert? ..."
Das kritische Ende muss ich leider aufgrund mangelnder Meinungs- und Pressefreiheit kuerzen, einen solchen Blog wage ich nicht.