1. Mai 2007

Die Reise zum Äquator

Vorwort

Ich habe es geschafft: Ich habe auf dem Äquator gestanden! Doch nicht nur dieses Erlebnis bestimmt meine momentane Gefühlslage, die ganze Reise war ein einzigartiges Erlebnis, eine Erfahrung ohnegleichen. Unzählige Eindrücke schwirren in meinem Kopf herum und wollen verarbeitet werden. Ich fühle mich wie in einem Sandsturm, die Sandkörner sind all die kleinen Ereignisse der letzten drei Tage, die ich jetzt versuche einzufangen.
Bevor mein Gedächtnis die wirkliche Form der Ereignisse im Laufe der Zeit verändert, werde ich hier alles detailgetreu niederschreiben. Es könnte dadurch sehr lang und persönlich werden, ich weiß auch, dass in einem Blog nichts vertraulich ist, dennoch haben mich diese Tage so beeindruckt, dass ich sie gerne teilen möchte.


Kapitel 1: Samstag

Der Wecker klingelt 5 Uhr am Morgen. Es ist noch dunkel, Gewitter und starker Regen draußen. Wie komme ich trocken zum Flughafen? Ich steige in den Bus direkt vor meinem Haus, fahre bis zum Raffles Hotel und brauche nicht lange zu warten, bis ein Taxi vorfährt und Reisende samt Koffer einlädt. Ich frage, ob ich mitfahren kann. Eine halbe Stunde später bin ich für 6 Euro am Budget Terminal des Changi International Airport. Der Flug im Airbus vergeht wie im Flug :-) Ich verschlafe die Überquerung des Äquators über den Wolken.

Kleine Trauminseln im Indischen Ozean tauchen auf. Nicht mal eine Stunde und wir landen direkt am Meer, weites, grünes Land, Palmen, flache Gebäude mit seltsamen Dächern bestimmen die Landschaft. Im Hintergrund Gebirge.

Aussteigen, anstellen. Für Indonesien braucht man ein Visum. Für Deutsche gibt es das bei der Ankunft, 7 Tage kosten 10 US $. Ich brauche eine Stunde für den Immigrationsprozess, weil ich mich in der falschen Reihenfolge an den verschiedenen Stationen anstelle, weil Deutschland nicht in der Liste für Visa-on-arrival steht, aber eigentlich drauf sein müsste. Ich finde mein Gepäck und muss zum ersten Mal, seit ich mit dem Flugzeug unterwegs bin, den Gepäckschnipsel zeigen, dass es auch wirklich meins ist. Vor dem Flughafen werde ich sofort von einer Traube Männer umringt, die mich alle an mein Ziel bringen wollen. Mein erstes Ziel ist ein Geldautomat, da die indonesischen Rupiah am Flughafen in Singapur ausverkauft waren. Es gibt keinen hier, es gibt keinen am Busterminal, also muss ich in die Stadt. Ins Zentrum von Padang. Ich habe die Wahl: auf dem Moped eines Sechszehnjährigen, Taxi oder Kleinbus. Ich erkundige mich bei den Insassen nach dem Preis und ob er wirklich nach Padang fährt. Kurz vorher wurde mir nämlich versichert, dass dieser Bus nach Bukittinggi fährt, das ist die entgegengesetzte Richtung. Kaum sitze ich, werde ich von einem jungen Mann angesprochen. Die üblichen Fragen, woher ich komme, wie ich heiße, wo ich hinwill. Dann: "Bist du verheiratet?" "Aber sicher, ich bin schon 25!" Er glaubt mir und schweigt.
Unter den Rüschengardinen und lustiger Musik bekomme ich einen Eindruck von der Gegend, es gibt richtige Straßen, am Rand eine Hütte an der anderen, Geschäfte mit Menschen davor.

Fast alle Frauen tragen ein Kopftuch, sogar die kleinen Mädchen. Der Busfahrer lässt mich direkt dort raus, wo die Busse nach Bukittinggi fahren. Ich finde eine Bank und ziehe eine Million Rupiah. Alle, wirklich alle, lächeln mich an und sagen Hallo. Manche "Hello Mister!", die jungen fragen wo ich herkomme.
Das Busterminal besteht aus Bambusbänken unter einer Plane, ich kaufe ein Ticket. Es kostet für drei Stunden Fahrt genauso viel, wie der halbstündige Weg vom Flughafen: 15.000 Rp (1 Euro sind 12.000 Rupiah). Der Bus soll gleich kommen. Ein netter Angestellter zeigt mir einen Platz im Schatten. Ich quetsche mich auf eine dreckige Bank voller Essensreste, Busfahrer und Katzen. Der Mann unterhält sich mit mir, gibt mir Bohnen zu essen, Wasser zu trinken. Wir verstehen uns gut, er erklärt mir, dass ich hier alles mit der rechten Hand nehmen und geben muss. Die Wartenden stellen Fragen, er übersetzt, ich antworte, alle schauen mich die ganze Zeit an. Arman, so der englischsprechende Inhaber des Busunternehmens, erklärt mir, dass sie alle gucken, weil ich so schön sei und so eine große Nase habe. Spitznamen für Europäer und Amerikaner sind "Roter Affe" und "Langnase". Alles klar, ich bin ein hervorragendes Anschauungsobjekt.
Ich brauche eine Toilette. Arman bringt mich in den Hinterhof. Zwischen Müll und Reifen sitzen Frauen auf dem Boden und bereiten Essen zu.

Die Toilette gehört in die Reihe "Ekligste Toiletten der Welt". Arman bezahlt 1.000 Rp für mich. Er findet es nicht gut, Touristen als laufende Geldbeutel anzusehen. Er ist froh, wenn er sein Englisch anwenden kann. Er will mir helfen am Montag ein Hotel in Padang zu finden. Wir verabreden uns für Montag 19 Uhr am Busterminal.
Der Bus kommt nach einer Stunde, ich bin total nassgeschwitzt von der Hitze. Er wird nur mit so vielen Leuten beladen, wie Sitze vorhanden sind. Es ist ein Expressbus, keine Stopps auf dem Weg. Ich sehe Affen auf der Straße, Ziegen, Kühe, Hunde, Kinder en masse. Die Häuser und Grundstücke sind ungefähr wie in Guatemala. Die Spuren des Erdbebens sind deutlich zu sehen. Wir fahren in die Berge, auf 1000 Meter Höhe, zwischen die Vulkane Gunung Singgalang und Gunung Marapi (der aktivste Vulkan Sumatras), die Sonne brennt. Zweieinhalb Stunden später stehe ich mitten auf einer großen Kreuzung, um mich rum hunderte Mopeds, Autos, Lieferwagen, es hupt die ganze Zeit. Mein Stadtplan nützt nichts, es gibt keine Straßenschilder. Ich frage Passanten danach, wo wir jetzt sind. Sie schauen auf meinen Karte und tippen auf einen Punkt. Jeder auf einen anderen. Hm. Ich halte ein Taxi an, Hotel Orchid? Schweigen. Ich will unbedingt ins Hotel Orchid, denn laut meinem Reiseführer kann der Inhaber Englisch und weiß gut Bescheid. Ich laufe einfach los, finde eine Reiseagentur. Die müssen doch englisch sprechen und wissen, wo ich hin muss. Tatsächlich, einer der acht Leute, die sich sofort meiner annehmen, malt mir detailliert auf, wo ich langgehen muss und erklärt es noch dreimal im Anschluss. Da der erste Anhaltspunkt auch nach einem Kilometer Weg nicht auftaucht, nehme ich ein Opelet, eine Art Miniminibus mit offener Tür, in das man einfach reinklettert. Zwei Mal klatschen und er hält an. Ich sitze auf einer Fläche von 1x2 Metern mit 10 muslimischen, verschleierten Frauen, die mich wie einen Außerirdischen anstarren. Dann fangen sie an zu reden und zu lachen, ich verstehe keine Wort. Sie fragen mich irgendwas, sie fassen mich an, sie lächeln. Ich zahle 1.500 Rp. Dort wo sie mich rauslassen, ist kein Hotel. Ich gehe einen Berg hoch, um vielleicht den markanten Turm von Bukittinggi zu entdecken, damit ich mich orientieren kann. Zwei Schulmädchen sprechen mich an. "Hello Miss, can we help you?" Sie bringen mich zum Hotel, sind sehr freundlich, stellen viele Fragen, wollen mir die Stadt zeigen. Aber gerne! Das Hotel wirkt recht düster, aber sauber, ich gönne mir ein Luxuszimmer für 7.500 Rp mit Fernseher, Balkon, Doppelbett und warmem Wasser. Nachts soll es kühl werden. Als ich wieder zur Rezeption komme, wartet schon ein Guide auf mich. Er begrüßt mich auf deutsch! Er kann "Hallo, wie geht's?" und "Ach so" sagen. Er gibt mir Mappen und Fotos von Ausflügen ins Umland. Ich sage, dass ich nach Bonjol auf den Äquator will. "Ach so" sagt er nach jedem Satz. Wir kommen ins Geschäft, ich miete ein Motorrad samt Fahrer für einen ganzen Tag, erst zum Äquator, dann eine Minangkabau-Kultur-Tour, rund um die Vulkane und Seen zu mehreren historischen Sehenswürdigkeiten für 200.000 Rp inklusive Benzin und Eintritt.
Im Canyon Cafe, ein typisches Backpackercafe mit westlichem Essen, unterbreche ich die Bedienung (5 Jungs zwischen 15 und 30) beim Schach spielen, bestelle ein Sandwich mit Avocado, einen frischen Saft und Bananenpfannkuchen. Ich bin die Einzige, obwohl Bukittinggi nur so von Touristen wimmeln soll. Kaum sitze ich, kommen Scharen von Schulkindern in bunten Uniformen, die alle mit dem gleichen Text fragen, ob ich Zeit für sie hätte. Sie sollen englisch üben und müssen deshalb Touristen bitten, einen Fragebogen auszufüllen. Ich schreibe ca. 20 mal meinen Namen, meine Hobbies, etwas über mein Land, etwas über meine Meinung zu Indonesiens Natur und Kultur usw. Dann mit jedem einzeln ein Foto. Dabei schmiegen sie sich an mich, legen wie selbstverständlich den Arm um mich, ihre Hände auf meine Knie. Sie verstehen nicht was ich sage. Dann kommen die beiden Mädchen von vorhin, Agnes und Cici, ich spendiere ihnen einen Kakao für 20 cent.

Sie zeigen mir den Markt, die eingestürzten Häuser vom Erdbeben am 6. März. Der Tsunami hat am schlimmsten den Norden Sumatras getroffen, hier stehen nur noch zwei Unicef-Zelte. Die letzten schweren Überschwemmungen waren auch im Norden und auf Java. Der Vulkan bricht nur einmal im Jahr aus und dann auch nur ein bisschen. Sagen sie. Sie erklären mir alles, was ich nicht kenne, handeln gute Preise aus und halten weitere Schüler fern. Sie schenken mir einen Anstecker mit ihrem Foto. Wir essen einen warmen Maiskolben, dazu Kokosnusssaft.

Ich frage sie nach ihrem Alter. 13, sie sehen älter aus. Ob sie das Kopftuch immer tragen. Nein, zu Hause nicht. Ob sie in die Moschee gehen? Die eine ja, die andere geht in die Kirche. Trotzdem Kopftuch? Warum? Diese Frage verstehen sie nicht. Ich gebe ihnen meine Adresse, lobe ihr Englisch, bedanke mich, sie bedanken sich überschwenglich für meine Zeit und möchten zum Abschied mein "goldenes Haar" berühren.
Zurück im Hotel empfiehlt mir der Hoteljunge eine Tanzshow am Abend. Tänze und Musik der Minangkabau. Diese Kultur ist nur noch auf Westsumatra beheimatet. Es ist die größte noch existierende matrilineare Kultur weltweit. (Das heißt, dass hier die Frauen das Sagen haben.) Die Minangkabau sind orthodoxe Muslime, aber halten stark an ihrer martilinearen Kultur fest. So werden die Reisfelder und Häuser an die Töchter vererbt und Minangkabau-Frauen haben im privaten Leben eine starke Autorität. Der Name bedeutet siegreicher Büffel, das erklärt auch die Form der Dächer, sie symbolisieren Büffelhörner. Die Tanzshow ist nur für Touristen gemacht, ich bin gespannt und hoffe auf andere Backpacker. Der Saal füllt sich tatsächlich mit Touristen - aus Malaysia! Kein Wunder, dass ich sie nicht als solche erkenne. Die Show ist wirklich interessant, die Instrumente klingen ein bisschen wie beim Faschingsumzug.

Getrommelt wird auf Büffelhaut. Schöne Tänze, wunderbare Kleider, goldener Schmuck. Die Bewegungen sind der Selbstverteidigungskunst Silek entnommen, die hier jeder Junge lernen muss.
Gegen Mitternacht laufe ich zurück. Alleine über den Markt, er ist voller Menschen, Jugendliche, junge Männer. Alle rufen mir zu. Zurück im Hotel sitzen die Jungs (4 Hotelangestellte für 4 Gäste) am Tisch und quatschen, ohne Bier, aber mit Zigaretten. Nahezu alle Männer rauchen. Einer nimmt meine Hand und deutet die Linien. Er erzählt mir etwas aus meiner Vergangenheit und sagt mir ein langes Leben mit lieben Menschen voraus. Dann holt er eine leere Wasserflasche, es ist ein Skorpion drin. Er setzt ihn auf seine Hand. Ist ja schon tot. Denke ich! Aber er bewegt sich plötzlich, hebt seinen Stachel, ich krieg Panik, er beruhigt mich mit den Worten, er hätte das Gegengift zu Hause. Ich: "Du bist verrückt!" Er. "Du auch!" Wir grinsen.
Ich brauche Stunden zum Einschlafen, was sich angesichts des Gesangs des Muezzins der benachbarten Moschee über Lautsprecher direkt vor meinem Fenster als schwierig erweist. Normalerweise ruft er fünf Mal täglich zum Gebet, aber in dieser Nacht von Samstag zu Sonntag tönt die ganze Nacht durch lauter Gesang und Gebete über Lautsprecher in mein nicht schließbares Fenster.


Kapitel 2: Sonntag

Die ganze Nacht durch werde ich jede Stunde wach, weil entweder der Rhythmus des Muezzin-Gesangs wechselt oder eine Mücke neben meinem Ohr summt. Ich ziehe mir einen Pullover mit Kapuze an, damit sie nur noch Gesicht und Hände als Angriffsfläche haben. Die Temperatur ist hier nachts ganz angenehm, vielleicht 20 Grad. Morgens habe ich allein auf meinem rechten Arm 15 Mückenstiche, im Gesicht 10.
Um sieben stehe ich auf und folge der Ameisenspur ins Bad. Habe eine geschlossene Tüte Reiscracker liegen lassen. Um acht will ich losfahren. Zum Frühstück gibts über offenem Feuer gerösteten Toast mit rosa Aufstrich. Andri wird mein Fahrer sein, eine Honda unser Fahrzeug. Er gibt mir einen Spielzeughelm. Ich lache, aber er meint das ernst. Ich verlange einen anderen. Ich lasse ihn so lange einen neuen Helm holen, bis ich einen mit Schaumstoff habe, mit Riemen zum Schließen und ohne bereits genähte Risse. Normalerweise hält man sich nicht fest, ich darf bei einem Tempo von 80 km/h trotzdem seinen äußerst schmalen Körper umfassen. Wie machen die das hier nur? Die packen auf so ein Zweirad die ganze Familie drauf (zwei Erwachsene und drei Kinder, Hunde, Reissäcke, Gitarren). Die Frauen sitzen noch dazu wie es sich gehört seitlich mit geschlossenen Beinen. Helme werden grundsätzlich nicht geschlossen. Bevor man etwas überholt, sei es Bus, Moped, Mensch oder Hund, wird gehupt. Nachdem man es überholt hat auch. Es ist quasi ein Dauerhupen, sobald sich die Straße füllt. Gesetzlich herrscht Linksverkehr, aber der, der eher hupt, bekommt den Weg frei gemacht. Rechts abbiegen kann man auch schon mal quer durch. Laut meinen Kollegen ist sogar Kambodscha sicherer, weil da nicht so viel Verkehr ist. Aber wir waren ja nur auf einer kleinen Straße unterwegs, die nichtmal in der Karte eingezeichnet ist. Diese Straße nach Norden ist asphaltiert und Andri gibt Gas. Wir fahren durch wunderbare Landschaft, alles grün, überall Berge, Reisfelder, Hütten. Das Leben findet vor den Häusern/Hütten statt, sehr viele liegen oder sitzen einfach nur rum. Die Reisfelder sind voller Arbeiter mit spitzen Hüten, dazwischen Wasserbüffel, Kinder, Ziegen. Unbeschreiblich. Wir treffen auf einen Prozessionszug anlässlich der Lesung aus dem Heiligen Buch. Hunderte Kinder in religiösen Kostümen laufen zu Trommelmusik wie beim Faschingsaumzug auf der Straße. Alles streng choreographiert, am Rand stehen die Dorfbewohner in der Sonne. Ich steige vom Rad und laufe vorbei, die Kinder kommen vor lauter Staunen aus dem Takt.

Nach anderthalb Stunden und einigen Schlaglöchern später erreichen wir das Dorf Bonjol und dahinter den weißen Strich auf der Straße. Es gibt laut Andri pro Jahr nur circa sechs Touristen, die hier den Äquator überqueren. Daneben spielen Jungs Fußball, sofort kommen Frauen mit T-Shirts gelaufen. Andri erzählt mir irgendwas über die Holländer und das Museum hier (Sumatra war lange Zeit niederländische Kolonie), dann muss er Fotograf spielen. Ich laufe auf dem Strich hin und her. Stelle mich mit beiden Beinen auf je eine Seite. Fühle den Unterschied.
Nach ausgiebigem Äquatorspringen handle ich eine Weile mit den Frauen um den Preis der T-Shirts, merke beim Bezahlen, dass ich zu wenig Geld habe. Also doch nur wenige, sie sind enttäuscht, ich kaufe überteuert (fast 5 Euro pro Shirt). Egal, ich bin reich, sie sind arm, ein Drittel der indonesischen Kinder ist unternährt. Sie halten das Geld in ihren Händen und schauen, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätten.
Wir fahren wieder ab und nach zehn Minuten fällt mir ein, dass ich etwas vergessen habe! Ich will noch das Experiment sehen, wir kehren um, bestellen einen Trichter und Wassereimer. Dreimal lassen wir Wasser ablaufen, ein Stückchen Holz darin, damit man die Drehrichtung besser sehen kann. Und ich kann euch sagen, es stimmt! Nur zehn Meter nördlich von der Äquatorlinie entfernt dreht sich das Wasser in die eine Richtung, südlich von ihr in die andere und direkt auf dem Äquator floss das Holzstückchen mit dem Wasser gerade nach unten. Warum das so ist, ist wohl nicht nur mit der Erdrotation zu erklären, Versuche sind umstritten.
Als ob dieses Erlebnis für heute noch nicht genügen würde, begegnen wie auf dem Weg zurück nach Bukittinggi einer Schlange. Meine erste Schlange in freier Wildbahn. Sie ist schwarz und schlängelt sich am Rand der Straße entlang. Bin ich froh, auf dem Motorrad zu sitzen! Laut Andri ist das eine Python. Giftig? "No dangerous." Ich frage nach weiteren Tieren in Sumatras Wäldern und ob es hier wirklich Tiger gibt. Ja, es gibt den Sumatra-Tiger. "But no dangerous." Schon klar, Tiger sind hier auch ganz ungefährlich, wie alles andere ja auch.
Jedesmal wenn wir durch ein Loch gefahren sind, fragt er mich "Are you ok, miss?" Ich antworte wie die Niederländer: "Klar". Gegen die Mittagszeit geht er über zu "Are you ok, baby?". Ich werde müde und drohe vom Rad zu fallen. Ich frage ihn, ob wir anhalten können, Kaffee trinken. Er klopft auf seine Schulter und sagt, ich könne mich anlehnen und an ihm schlafen. Ihm sei kalt, und wenn ich mich an ihn lehne, wird ihm heiß. Hallo? Ich zweifle das erste Mal an der Harmlosigkeit dieses Jungen. Er ist genauso alt wie ich. Wir machen Stopp an einer Autobahnraststätte, nein, kleiner Scherz, an einer Bretterbude mit urigen Sitzbänken kurz vor Tabok Patah.

Ein wunderbares Panorama auf Reisfelder an Berghängen gibt mir wieder Energie. Affen tollen umher, ein Hahn kräht unter meiner Bank. Die Luft ist voller Rauchschwaden, die Reste der Reispflanzen werden einfach so verbrannt. Genauso wie der Müll vor den Häusern, kleine Haufen machen, anzünden, weg ist er.
Wir fahren weiter zu einer Kaffemühle in Sungai Tarab. Kein Ort, der für Touristen hergerichtet wurde, sondern eine Hütte am Ende eines Stolperweges. Innendrin würde ich es keine Stunde aushalten, ein winziger Raum zum Leben, ein Holzbett, ein Tisch, überall Essensreste und Fliegen. Daneben die Kaffeemühle, angetrieben von einem Wasserrad. Idyllisch. Dann fahren wir zum bekannten King's Palace in Bato Sangkar, kurz vorher erzählt er mir, dass dieser vor zwei Wochen abgebrannt ist. Tja, schade. Dann eben ein Traditional Mingankabau Haus in Balimbing.

Dann kommt er auf die Idee, schwimmen zu gehen. Wir fahren zu einem See. Zum Glück regnet es, ich will mich nicht im Bikini zeigen. Es reicht schon, wenn er mich fragt, ob ich Romantik mag. Statt Schwimmen gibt's eine Fanta für 20 cent und eine Rückenmassage. Gehört das alles zum Service? Wir fahren weiter, die Tour ist eigentlich vorbei, aber Andri bringt mich in den Canyon. Unbewohnt, teilweise zusammengefallen durch das letzte Erdbeben, aber immernoch ein schöner Platz. Wir fahren durch schlammiges Gelände in eine einsame Ecke. Ich glaube an das Gute im Menschen, besonders in Andri. Und an seine muslimische Erziehung. Wir erreichen eine winzige Hütte, zwei mal zwei Meter. Der Bretterboden ist einen halben Meter über der Erde. Andri breitet das Regencape darauf aus, holt Wasser und Schokolade aus dem Rucksack, legt sich hin und bittet mich zu ihm. "You are so beautiful, come here!"

"Danke, aber ich möchte lieber draußen stehen." Er kommt zu mir und streicht mir eine Strähne aus der Stirn. Hilfe! Ich sage, dass ich hier raus muss, mir ist unheimlich im Canyon, wenn es dunkel ist. Die Dämmerung hat eingesetzt. Nach kurzem Diskutieren kann ich ihm glaubhaft machen, dass wir wieder fahren müssen. Doch statt zum Hotel fährt er uns auf einen Aussichtsturm über dem Canyon. Wir klettern hoch, sitzen auf dem Geländer und er sagt doch tatsächlich, ich solle mich zwischen seine Beine stellen! Hallo??? Ich hätte ja vorhin auf die Frage nach Romatik mit "manchmal" geantwortet. Und es sei gerade sehr romantisch. Dabei ist er wirklich überhaupt nicht mein Typ und der drei Zentimer lange Fingernagel an seinem kleinen Finger ist nicht gerade angenehm anzuschauen. Ich rede irgendwas von boyfriend in Germany und dass ich mich vor Fledermäusen fürchte. Tatsächlich schwirren über uns welche mit einem Meter Flügelspannweite. Daneben ist ein Friedhof, ich täusche Angstzustände vor. Er bringt mich endlich zum Hotel. Nicht ohne mir ans Herz zu legen, dass er mich morgen mit seinem Motorrad nach Padang fahren will. Dann bleibt er mit mir über Nacht in meinem Hotel und bringt mich morgens zum Flughafen. Alles ganz billig, es ist nur eine Frage des Wollens. Und ich solle den anderen Jungs nichts davon erzählen, dass er mit mir an den romantischen Stellen gewesen ist. Ich bedanke mich und gehe ihm für den Rest des Abends aus dem Weg.

Die anderen Jungs vom Hotel sind gerade dabei auf eine Hochzeit eines Freundes zu gehen, ob ich mit will? Klar! Aber ich habe nichts ordentliches anzuziehen. Macht nichts, meinen sie und Roni zieht sich extra ein buntes Hawai-Hemd statt der Hochzeitskleidung an, damit ich nicht so auffalle. Wir (sechs Jungs zwischen 25 und 35 und ich) fahren mit dem Minibus aufs Land und ich frage nach Instruktionen, bei so einer traditionellen Hochzeit kann man schließlich viel falsch machen. Ich lege einige Scheine in einen Briefumschlag als Geschenk. Das machen alle. Dafür gibt es dann einen extra Briefkasten. Ich soll die Schuhe ausziehen. Ich sollte alles essen, was mir angeboten wird. Immer nur die rechte Hand benutzen. Bloß nicht Nase putzen. Nach dem Hand reichen dieselbe ans Herz führen. Ok, wir sind da. Wir gehen einen schmalen Weg auf eine Gruppe Kinder zu. Die Mädchen in süßen Kleidchen, die Jungs modern gekleidet. Ich lausche nach Musik, aber es ist still. Im Haus ist ein großer Raum komplett geschmückt mit golden verzierten Tüchern, von der Decke hängt Schmuck. Blinkende Lichterketten verzieren den Raum. Der Boden steht voller kleiner Schlüsseln mit verschiedenen Speisen. An den Wänden sitzen Familienmitglieder auf dem Boden.

Rechts auf einer Art Altar sitzt das Brautpaar. In wunderschönen schwarz-rot-goldenen Kleidern mit Kopfschmuck sitzen beide auf roten Samtkissen. Das machen sie schon den ganzen Tag. Sie sitzen wirklich von morgens um zehn bis abends um zehn auf diesem Altar und beobachten ihre Gäste. Wenn sie aufstehen, gibt das Unglück.

Es gibt keine Musik, die Leute reden leise. Es gibt keinen Alkohol. Wir setzen uns im Kreis, die Frauen versorgen uns mit noch mehr Schüsseln. Roni (bitte nicht wie den sächsischen Ronny aussprechen) hilft mir. Ich nehme mir Reis aus großen, bunten Thermoeimern auf meinen Teller. Die Braut sitzt am anderen Ende des Raumes, aber sie ruft herüber, dass ich mehr nehmen soll. Niemand anderes isst, nur wir. Alle beobachten uns. Dann gibt es aus jeder Schüssel einen Löffel auf den Reis. Immer alles mit rechts nehmen und geben, auch nach links! Ich bekomme ein Glas warmes Wasser und dazu eine Schüssel mit kaltem Wasser. Ich ahne, was jetzt kommt. Richtig, es gibt kein Besteck. Man isst hier traditionell mit der Hand. Ich habe das in der Stadt gesehen. Roni erklärt: Mit den Fingern der rechten Hand den Reis platt drücken, ein Stück Fleisch rein, Reis drüber. Daraus eine Kugel formen. Ich bin dankbar, dass der Reis so klebrig ist. Dann aufnehmen, Kopf über den Teller und mit dem Daumen zwischen Mittel- und Ringfinger in den Mund schieben. Dabei laut schmatzen. Aha, ganz einfach. Mir fallen die Reiskörner runter, es ist eine einzige Sauerei. Aber irgendwie macht es auch Spaß, so in dem Essen zu wühlen. Da ich alles probieren muss, gibt es auch keinen Halt vor Fettstückchen aus dem Büffelmagen und Fischköpfen. Delikatessen. Den Rest erfrage ich lieber gar nicht.

Aber etwas ist allen gemein: Es ist scharf. Westsumatra ist bekannt für sein scharfes Essen, alles wird in Chili gewälzt. Es gibt sogar Chilischoten pur. Ich bin bei Schärfe sehr empfindlich und auch mit Reis und warmem Wasser gemischt, droht bei diesem Essen Feuchtigkeit aus meiner Nase zu tropfen. Aber ich darf ja kein Taschentuch benutzen! Und das Hochziehen funktioniert ab einer gewissen Menge auch nicht mehr. Was passiert also? Lecker!

Nach dem Essen darf ich das extra für diese Nacht bereitete Schlafzimmer bestaunen. Es ist eine wichtige Nacht, denn in Indonesien, speziell in West-Sumatra, muss die Frau Jungfrau sein, wenn sie in die Ehe geht. Das durchschnittliche Hochzeitsalter liegt bei 28...
Wir beglückwünschen das Paar, ich reiche meine rechte Hand, dann legt man die linke dazu wie eine Hülle, dann die rechte ans Herz führen, fertig. Wir gehen. Nach einer Stunde schon. Ich frage die Jungs, ob das normal sei, so ohne Alkohol und Musik. Ja, ist es. Alkohol gibt es nicht, muslimisches Land, schon vergessen? Musik ist zu laut. Würde die Nachbarn stören. Das Gute an einer Hochzeit ist allerdings, dass die jungen Männer dann bei ihren Eltern ausziehen und zu den Eltern der Frau ziehen! Ja, richtig gelesen. Die Frauen haben hier das Sagen. Sie erben Grundstück, Haus und Felder. Den Männer gehören Auto und Moped. Gibt es keine Töchter, erben die Schwestern der Mutter. Die Grundstücke dürfen nicht verkauft werden, sie gehören ewig dem selben Clan.

Zurück im Hotel sind wir dann doch noch auf ein Bier ins Canyon Cafe gegangen. Ich lasse mir die wichtigsten Sätze auf indonesisch aufschreiben: 1. Saya tidak bisa berbahasa Indonesia = Ich spreche kein indonesisch. 2. Jangan pegang saya. = Fass mich nicht an. 3. Saya suka kamu. = Ich mag dich. Dann läuft Fußball, also hab ich lieber eine nächtliche Motorradtour mit Roni Putra gemacht. Helm? Braucht man nicht in der Nacht. Keine Polizei - kein Helm. Ich habe ein bisschen fahren gelernt :-) Ich frage, was denn die Jugend hier abends macht, wenn sie nicht trinkt und tanzt. Nichts. Motorrad fahren, wie wir jetzt. Und es gibt wirklich gar keine Drogen? Doch, Bananenwhisky. Ob ich probieren möchte? Wir fahren zu einem unscheinbaren Haus, er kommt mit einer in Papier eingewickelten Flasche in einer Tüte wieder raus. Ich schmuggle die Flasche ins Hotel. Es gibt ein Glas von dem 20%igen mit Cola gemischt, ich schlafe sofort ein.


Kapitel 3: Montag

Ich schlafe bis zum ersten Muezzin-Weckruf halb sechs. Meine Haut spannt, ich habe mir auf dem 10-stündigen Motorrausflug Gesicht und Arme verbrannt. Aber richtig!
Ich schaue eine indonesische Seifenoper im Fernsehen. Es gibt nur einen Sender. Zum Frühstück wieder lecker Buttertoast. Als Lektüre wähle ich Tourberichte von früheren Touristen, liebevoll zusammengeklebt in einem Fotoalbum. Die reizvollste Tour geht in den Dschungel zu den Urvölkern Sumatras. Wie man es sich vorstellt, alle nackt, bemalt usw. Dauert leider zehn Tage, die habe ich nicht. Ich will hierbleiben. Oder sofort nach Hause. Ich entscheide mich gegen einen Halbtagestausflug zu einem idyllischen Wasserfall im Dschungel. Ich habe weder feste Schuhe (Schlangen!) noch Lust auf romantische Ausflüge (Andri!).
Eigentlich wollte ich mir noch den Minizoo von Bukittinggi ansehen, da gibt es Elefanten (ich will unbedingt mal auf einem Elefanten reiten), aber ich bin zu träge. Lieber nochmal auf den Markt. Es ist eine seltsame Stimmung, Montag Vormittag, wenige Menschen, Stille, leiser Regen. Ich nehme die bedrückende Atmosphäre in mich auf.

Überall Steine, zusammengefallene Häuser. Verbrannte Wände. Verwinkelte Gassen. Ich gelange in die Ecke der Kleidungsstände. Es riecht nach feuchtem Stoff. Hier landen sie also, die abgetragenen Klamotten aus unserer Altkleidersammlung. Alles ist zerknittert, dreckig, muffig. Auf dem Boden liegen ganze Familien auf den Klamottenhaufen rum und warten, bis jemand kommt und etwas kauft. Aber es kommt niemand. Nur ich. Es ist so verwinkelt, dass ich kurz Angst vor einem Überfall bekomme. Lieber raus hier. Es folgt die Abteilung mit Saecken getrockneter Fische, gleich neben den Anziehsachen. Der Geruch vermischt sich. Ein Stand mit Teddybären leuchtet zwischen verbrannten Wänden hervor. Bauarbeiter schleppen Bretter heran, um den Boden begehbar zu machen.
Man will mir Badelatschen aus rosa Plüsch mit Glöckchen andrehen. Nur ein Euro. Nein danke, ich konzentriere mich auf das Wesentliche. Ich kaufe Postkarten von den Ureinwohnern und eine Video-CD von den Tänzen der Minangkabau. Noch dazu die Pop-CD, die gerade läuft. Beides zusammen für 2,50 Euro. Zurück im Hotel laden mich die Jungs zum Mittagessen sein. Ich fahre mit dem Hausmeister auf seinem Moped zum Essensstand seiner Frau an den Stadtrand. Ich habe eine hellgrüne Plasteschale auf dem Kopf. Ich brauche mich nicht mehr festhalten. Ich suche mir etwas aus, das ich als Fisch und Hühnchen erkennen kann. Reis und Chilisauce gibt's sowieso. Alles wird in ein Bananenblatt und ein Stück Papier gewickelt, zusammengeschlagen, Gummi drum. 60 cent. Zurück im Hotel darf ich mich abermals im Essen mit Fingern probieren.

Geht schon ganz gut, dauert nur ewig. Es macht Spaß, ich werde das zu Hause einführen. Ich frage nach weiteren kulturellen Besonderheiten der Mingangkabau. Alle hier gehören dieser Kultur an, alle auch einer Religion, die meisten Muslime. Die Kinder wohnen bis zur Hochzeit bei den Eltern. Dann bei den Eltern der Frau oder in einem eigenen Haus, wenn Mann sich das leisten kann. Die Jungs hier, allesamt 25, wohnen also auch noch bei ihren Eltern. Mit durchschnittlich fünf Geschwistern. Roni hat zwei Schwestern und zwei Brüder, drei weitere Kinder haben das Kleinkindalter nicht überlebt. Er ist der zweitälteste. Er wettet, dass ich die Jüngste bin. Drei Kinder findet er gut, will er auch haben. Was muss ich noch wissen? Was ist, wenn die Frau keine Minangkabau ist? Dann zieht er trotzdem zu ihr. Ich müsse mir darum also keine Sorgen machen :-)
Trotz aller Überredungskunst bleibe ich nicht noch eine Nacht hier. Das Risiko ist mir zu groß, morgens im Dunkeln innerhalb von einer Stunden auf dem Moped 90 Kilometer zurückzulegen. Ich darf meinen Flug nicht verpassen. Bevor mich der Hausmeister zum Busterminal bringt, will ich mich verabschieden. Doch jegliche Berührung zwischen Mann und Frau ist auf öffentlicher Straße absolut tabu. Ich fühle mich meiner persönlichen Freiheit beraubt. Egal, das nützt auch nichts, ich respektiere die religiösen Regeln.
Wir finden meinen Bus, ich bedanke mich und erlebe anderthalb Stunden mit drückender Blase. Der Fahrer ist ständig am Überholen, er hat fast 100 km/h drauf. Das Mädchen neben mir, mit Schleier und vorstehenden Zähnen versucht krampfhaft eine Konversation. Ich verstehe sie nicht. Sie versteht mich nicht. Ich muss dringend auf Toilette, doch auch der Fahrer kennt dieses Wort nicht. Erst als ich mehrmals laut Stop schreie, hält er an. Ich renne hinter eine Autowerkstatt und finde ein Toilettenloch. Als ich zurückkomme ist der Bus noch da, mein Rucksack auch, Glück gehabt. Wir sind um vier am Busterminal, Arman ist nicht zu sehen. Ein Junge kommt auf mich zu, ob ich die sei, die mit Arman verabredet ist. Da hat er doch tatsächlich vorgesorgt, dass er mich auch wirklich nicht verpasst. Arman ist gerade essen, ich soll kurz warten. Nach zehn Minuten frage ich nach, was kurz heißt. Eine Stunde. Ach nein, solange will ich nicht in der Sonne schmoren. Ich versuche erneut vergeblich mit Hilfe diverser Leute herauszufinden, auf welcher Straße ich bin. Ziel ist Uncle Jack, ein Hotel, das mir die Jungs aus Bukittinggi empfohlen haben. Es ist nicht in meinem Reiseführer, ich weiß den Straßennamen nicht, keiner kennt es, auch kein Taxifahrer. Also laufe ich einfach los, in Richtung Flughafen. Denke ich zumindest. Ein Mädchen spricht mich an, ob sie mir helfen kann. Ja, suche Hotel nahe Flughafen. Gibt es nicht. Aber ich könnte ins New Tiga Tiga gehen, ist billig und auf dieser Straße. Sie hält für mich ein Opelet an. Es ist leer bis auf den Fahrer, sie schickt es wieder fort. Du bist alleine, sagt sie. Dann fragt sie, ob ich jetzt ins Hotel will oder lieber mit ihr spielen. Sie ist vielleicht 15 und spricht sehr bestimmend. Sie fragt, ob ich ueberhaupt Geld fürs Opelet habe. Ich zeige ihr das Portmonee mit 50 cent Inhalt. Das nächste nimmt mich mit, für 15 cent lassen sie mich ein ganzes Stück weiter wieder raus. Ich versichere mich beim Fahrer, dass hier das Hotel ist. Ja, genau hier. Ich sehe keins. Ich hab keine Lust mehr, ich will doch nur ein Bett, das kann doch nicht so schwer sein. Ich setze mich auf eine Bank und trinke Wasser. Ein adretter Junge spricht mich an, ob er mir helfen könne. Hotel Tiga Tiga? Ja, das ist dort vorne. Musst du mit dem Bus fahren. Nein, da kann nicht sein! Ich solle doch lieber ins International Hotel gehen, da sind die Räume größer. Ich frage nach dem Preis. "Das ist viel komfortabler." "Was kostet das?" "Es hat ganz grosse Raeume." Ich wiederhole meine Frage. 200.000 Rp. Abgelehnt. Ob es mir was ausmachen würde, wenn er mich ins Hotel Tiga Tiga begleitet, er hatte vor kurzem Freunde aus Japan dort. Ich verstehe den Zusammenhang zwar nicht, bin aber froh, dass er mir den Weg zeigt. Ist nicht weit weg, hat nur dummerweise nur noch wenige Buchstaben in der Beschriftung. Wir gehen dran vorbei, er fragt zwei Mädchen, sie schicken uns zurück. Ich bekomme ein Standardzimmer für 4 Euro mit zwei Betten und eigenem Bad. Er nimmt den Schlüssel an sich, macht mir auf, benutzt mein Bad wie selbstverständlich. Ich will zum Strand, schwimmen und lesen. Er sagt, dass der Strand hier sehr sauber ist und fragt höflich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er mitkomme. Na gut, beugt Einsamkeit vor. Er ist 21, sieht aus wie ein Japaner, ist anständig gekleidet und ordentlich frisiert. Er studiert hier im ersten Jahr an der Uni und kommt aus Nordsumatra. Auf der Hoteltreppe kommt mir Arman entgegen! Wie hat er mich gefunden? Ich fürchte, dass er wütend ist, erkläre, dass wir erst um sieben verabredet waren und ich in der Zwischenzeit schonmal ein Hotel suchen wollte. Er freut sich, dass ich ihn nicht vergessen habe, wir verabreden uns um acht zum Essen.
Wir gehen erst noch zu Charles' Zimmer, seine Badesachen holen. Ein Loch ohne Fenster, blau bemalt. Es gibt kein Bett, keine Matratze. Er schlaeft auf einer Decke auf dem Boden. Er zahlt dafür 20 Euro im Monat.
Das Meer ist nur fünf Minuten entfernt, direkt am Strand ist eine breite Straße, dazwischen bunte Fischerboote und unzählige Holzstände, an denen Kinder frischen Fisch verkaufen. Alles ist voller Müll, es riecht dementsprechend.

Ein Stück weiter finden wir Sitzgruppen aus Holz, sie sehen aus wie alte Schulpulte. Er kauft eine Fanta. Die Stunde bis zum Sonnenuntergang füllt sich mit sinnlosen Gesprächen. Sinnlos deshalb, weil er fast alles, was ich sage, nicht versteht. Er tut aber so. Beispiel: Ich erzähle von Singapur, eine ganze Weile. Langsam und deutlich. Er nickt, scheint mit grossen Augen alles aufzusaugen. Zehn Minuten später bei einem anderen Thema erwähne ich Singapur nebenbei und er ist wahnsinnig erstaunt, dass ich in Singapur bin. So geht es die ganze Zeit. Ich schweige und will lieber den Sonnenuntergang genießen. Die Kinder nehmen ihr abendliches Bad.

Er fängt an, mich seine Schwester zu nennen. Er will, dass ich ein Foto von ihm mache. Alles äußerst höflich und ausschweifend formuliert. Ob ich ihm helfen könne, einen Studienplatz in Deutschland zu finden. Das ist sehr schwer und sehr teuer, sage ich. Ich soll von der Arbeit erzählen, lieber will ich den spielenden Kindern im Meer zusehen. Wir könnten in einen Swimmingpool gehen. Nein, ich will hier sitzen bleiben. Wir könnten ins Zentrum gehen. Nein, ich will hier sitzen bleiben. Ein kleiner Junge kommt zu uns und will 1.000 Rupiah Gebühr haben. Für's Müll wegräumen, den wir nicht gemacht haben. Egal, er bleibt hartnaeckig. Weder Charles noch ich haben noch Geld einstecken. Er bleibt eine geschlagene halbe Stunde schweigend neben uns stehen, bis ich eine 500 Rp-Münze in meiner Tasche finde. Sänger mit Gitarre stellen sich hinter uns und singen ein Ständchen. Charles winkt ab. Als es dunkel ist, möchte ich zurück ins Hotel. (Müll-)Feuer brennen am Strand, seltsame Gestalten tauchen auf.
Ich bereite die Verabschiedung vor, ich sei müde usw. Trotzdem lässt sich Charles nicht davon abhalten, mit auf mein Zimmer zu kommen. Er muss mal, erkläre ich mir. Doch danach setzt er sich auf das zweite Bett, zieht seine Schuhe aus und legt sich hin. Ähm, hab ich da was missverstanden? Er bietet mir an, mich morgen früh um sechs zum Flughafen zu bringen. Ich frage ihn, ob der Preis für das Zimmer für Einzel- oder Doppelbelegung ist. Er meint Einzel, aber er koenne ja auch zu Hause schlafen. Ja bitte, ich möchte nämlich duschen. Aber natürlich, ich kann ruhig duschen gehen, das störe ihn gar nicht. Hallo?? Er schaut sich die Fotos auf meinem Handy an. Er macht Bilder von sich. Irgendwie gelingt es mir nicht, es ihm wegzunehmen. Dann gähne ich auffällig, sage, dass ich gleich schlafen will. Es interessiert ihn nicht die Bohne. Er bleibt sitzen und schweigt. In mir brodelt es, ich stehe auf und bitte ihn zu gehen. Oh ja, natürlich, wenn es in Ordnung ist, würde er jetzt gehen. Aber, meine Schwester, ich hoffe ja so sehr, dass du meinen Namen erinnerst. Es dauert nochmal geschlagene zwanzig Minuten bis er mich ausführlich darauf hingewiesen hat, wie wichtig es für ihn ist, mich getroffen zu haben und dass ich ihm die Fotos schicke. Er ist ja so dankbar. Ich gehe schrittweise zur Tür. Dann halte ich ihm mitten in seinem Vortrag über den Traum von Deutschland meine Hand hin. Er küsst sie! Er umarmt mich vorsichtig, riecht an meiner Wange, küsst sie, riecht erneut an ihr, bewegt seinen Mund in Richtung meines Mundes und schnuppert dabei. Ich schrecke zurück. Wo bin ich hier nur gelandet? Ich drücke ihn aus der Tür. Ob es mir was ausmachen würde, wenn er gleich nochmal vorbeikommt, um mir seine Adresse zu geben. Braucht er nicht, ich bin eh duschen oder schlafe schon. Gib sie an der Rezeption ab. Er ist raus, ich verriegele die Tür von innen. Das Schloss bewegt sich, aber das Gegenstück im Türrahmen ist rausgebrochen. Ich kann die Tür nicht schließen! Es gibt zum Glück noch zwei Ösen und ich habe ein Vorhängeschloss dabei. (In Guatemala gelernt.) Es ist zehn Minuten spaeter, es klopft. Ich überlege eine Weile, ob ich aufmache. Die Vorstellung eines die ganze Nacht auf mich wartenden Charles vor meiner Tür halte ich nicht aus. Ich lasse ihn herein. Nein, nicht herein, ich stelle mich in den Weg. Er bewundert den Glanz meiner Arme (Sunlotion), riecht daran und entschuldigt sich höflichst für die Störung. "Ist schon ok, du willst mir ja nur deine Adresse geben, stimmt's?" Ja, aber ich wäre so müde, und er will wirklich nicht stören. Das geht fünf Minuten so weiter. Ich frage ihn ganz konkret. Er gibt mir eine Kopie seines Zeugnisses, mit Name, Foto, Adresse. Und nochmal, wie wichtig das doch alles für ihn ist. Ich nehme mein Handtuch, um zu signalisieren, dass ich jetzt duschen will. Damit oeffne ich den Weg. Er kommt rein, schaut in den Schrank (?) und setzt sich auf's Bett. Ich kann nicht mehr, ich werfe ihn raus. Einmal tief durchatmen. Es klopft. Ich mache nicht auf. Er bleibt hartnäckig. Er ruft, es ist Arman. Ich bin froh, klage ihm mein Leid ueber Charles, er versteht mich. Wir wählen seinen Lieblingsessensstand. Ich lasse ihn bestimmen, was wir essen. Er bringt Reis, Bohnenchips und einen Hühnerkopf. Dort abgeschnitten, wo unsere Hühnchenkeulen anfangen.

Ich esse mit der rechten Hand. Er passt auf, dass ich aufesse. Das muss sein. Ich brauche etwas zur Verdauung, er kauft drei Dosen Bier. Ich will mich auf die Straße setzen. Geht nicht. An den Strand? Zu gefährlich. In mein Zimmer? Nein Arman, ich möchte lieber an der frischen Luft bleiben. Zum Glück fällt mir der Hotelbalkon ein. Wir reden offen über die muslimische Kultur, über die Jugend, über die Mädchen. Er hat europäische Kultur studiert, ich kann bedenkenlos reden und muss nicht die Beine überschlagen. Das Bier ist nur für mich, er muss noch arbeiten um zehn, alle Busse kontrollieren. Ich frage ihn, ob die Mädchen wirklich bis zur Hochzeitsnacht warten. Nein, nicht immer, aber in Westsumatra schon. Man könne das an der Form der Brüste sehen, ob ein Mädchen noch Jungfrau ist oder nicht. Er erklärt mir die Beschneidungsrituale der Babys (Jungen und Mädchen!). Ich frage, ob er eine Freundin hat. Er: "Ich erzähle dir die Realität: An erster Stelle steht meine Arbeit. Ich brauche das Geld für meine Eltern. Wenn sie glücklich sind, bin ich es auch. Ich habe große Pläne mit meinem Geld, ich will meine Eltern einmal nach Mekka bringen. Wenn das geschafft ist, kann ich an eine Hochzeit denken. Aber es ist schwierig, eine Frau zu finden, die nicht nur auf Geld aus ist. Und ich habe keine Zeit eine zu finden, ich arbeite jeden Tag." Was ist mit den weiblichen Fahrgästen? Er geht einmal im Jahr mit einem Mädchen aus. So wie mit mir jetzt. Nur mit Touristen, denn mit den muslimischen Maedchen gehört sich das nicht. Seine letzte Freundin war eine Holländerin. Und deshalb liebt er mich. Ich stutze, hab ich mich verhört? Nein, er habe sich auf den ersten Blick in mich verliebt. Ich werfe mein Vertrauen auf meine Menschenkenntnis über Bord. Er fragt, ob er mich küssen darf. "Nein, Arman. Nur zum Abschied auf die Wange." Ich muss das zweite Bier leeren, schließlich hat er es für mich gekauft und bezahlt. Ich quäle mich, schaffe es. Das dritte vertecke ich. Wir gehen wieder auf die Straße, Wasser kaufen. Es ist zehn, er muss gehen. Aber halt, der versprochene Abschied. Geht nicht auf der Straße. Wir gehen wieder hoch, in mein Hotelzimmer, er schließt die Tür, gibt mir einen Kuss auf die Wange und geht sofort im Anschluss. Ich lege mich auf mein Bett, es ist wie ein hohles Brett und voller Ameisen, ich schlafe sofort ein.


Kapitel 4: Dienstag

Der Wecker klingelt 5.30 Uhr, noch bevor der erste Muezzin seine Stimme über die Stadt erhebt. Ich bin innerhalb von zehn Minuten unten, bezahle meine Rechnung, frage erneut, ob der Bus zum Flughafen wirklich direkt vor dem Haus hält. Ja. Ich warte. Ein Mann spricht mich auf indonesisch an. Ich sage nur immer wieder den Namen des Busunternehmens: Damri. Zig Mopeds, Opelets und Taxen halten an, obwohl ich mit dem Kopf schüttele und abwinke. Der Mann bringt mir nach 30 Minuten einen Hocker. Es bildet sich eine Traube Menschen um mich, sie versuchen mit mir zu reden, ich verstehe kein Wort. Ich wiederhole "Saya ingin pargi ke Bandara." = Ich will zum Flughafen. Sie diskutieren und gestikulieren wild. Es wird mir zu spät, es ist fast sieben, der Flieger geht 8.20 Uhr. Ich nehme doch ein Opelet, frage nach Bandara. Der Fahrer schaut mich verdutzt an, als hätte ich eben einen Flug zum Mond bestellt. Er schüttelt den Kopf. Dann sieht man förmlich, wie in seinen Augen die Dollarzeichen aufblinken und er überschlägt sich mit Zustimmung. Ich quetsche mich hinein, zwischen Schulkinder, Militärs und Körben voll frischer Fische. Als am Stadtrand alle ausgestiegen sind, hält er an und dreht sich zu mir um. Er will Geld. Ich habe in eines meiner drei Portmonees 30.000 Rp getan, das höchste der Gefühle für eine Taxifahrt zum Flughafen. Er zeigt mir vier Finger. Ich gebe ihm 4.000. Er schüttelt den Kopf. Er redet auf mich ein. Ich hole meine Wörterliste heraus und sage auf indonesisch, dass ich kein indonesisch verstehe. Er will mehr Geld, er will 40.000. Wir stehen alleine im Wald. Ich gebe ihm zwanzigtausend. Ich schaue ihn flehend an und zücke meinen letzten Zehntausender. Er nickt und fährt wieder los. Der Flughafen ist nur noch zwei Minuten entfernt. Alle vor mir haben 2.000 Rp bezahlt, wieder erfolgreich einen Touristen abgezockt. Aber das ist mir egal, ich bin pünktlich am Flughafen, checke ein, esse einen Donut mit Schokoladen- und Käsestreuseln.
Als der Flieger abhebt, habe ich Tränen in den Augen. Wir fliegen über Bukittinggi, ich kann die Lava in den Vulkanen sehen.

Ich komme wieder, versprochen!


Nachwort

Mein Gesicht löst sich auf, wo ich auch hinfasse, löst sich die Haut ab. Ich habe Durchfall und bin wehmütig. Ich bekomme sms aus Indonesien.
Unzählige Eindrücke schwirren in meinem Kopf herum und wollen verarbeitet werden. Ich fühle mich wie in einem Sandsturm, die Sandkörner sind all die kleinen Ereignisse der letzten drei Tage, die ich jetzt versuche einzufangen. Es gelingt mir nur schwer. Ich habe keine Bodenhaftung, meine Gedanken beruhigen sich nicht.
Schreibt mir eine Mail, ich brauche Rückmeldung und Hilfe. Bitte helft mir, aus diesem emotionalen Strudel wieder raus zu kommen!

Fotos gibt es hier.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Links oder rechtsstrudel???

2. Mai 2007 um 14:37  
Blogger Jenny said...

Mensch Papa, du bist ja richtig witzig :-)

2. Mai 2007 um 14:41  

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